Und die Moral von der Geschicht‘ – über den Verfall der Sitten

 

Fälschungen, besonders bei antiken MontBlanc-Füllhaltern

 

Als ich vor circa 25 Jahren das Sammeln von alten Schreibgeräten begann, war die Welt noch in Ordnung. Man wurde zwar vielfach belächelt, allerdings auch häufig mit alten Geräten beschenkt und man tauschte noch blau gegen blau, Pelikan gegen Pelikan – nach der Devise: hab ich nicht, hast du doppelt, was suchst du?

Auch die Umgangsformen waren bis vor wenigen Jahren noch gepflegt: Mängel wurden schonungslos beschrieben, Rückgabe bei versteckten Mängeln war selbstverständlich und problemlos, auf Börsen konnte man sein Geld und seine Füller unbewacht auf dem Tisch liegen lassen und sich wichtigeren Dingen widmen, man konnte sich Halter zur Begutachtung durch andere Experten ausleihen, jeder kannte jeden und ein Wort war ein Wort. Man zog über die Konkurrenz nicht in der Öffentlichkeit her und machte sich bei laufenden Verkaufsverhandlungen nicht heimlich von hinten an den Verkäufer heran sondern, wartete die Angelegenheit erst mal ab.

Mit steigenden Preisen für die Geräte bestimmter Firmen kam die Erkenntnis auf, daß man auch auf diesem Gebiet gute Gewinne erzielen konnte. Da die zu erzielenden Preise stark vom Erhaltungsgrad der Geräte abhingen, begann zunächst ein sorgfältiges Aufarbeiten besagter Teile – zunächst durch Reinigen, Instandsetzen, Polieren und das Ergänzen verlorengegangener Teile durch entsprechende Originalteile. Natürlich war ein Kappenriß wertmindernd – ein reparierter und sauber überpolierter (also kaum sichtbarer) Riß allerdings weniger als eine klaffende Lücke. Wobei man beachten muß, daß Hartgummi (Ebonit) im Gegensatz zu Zelluloid nicht wirklich zu kleben ist – es bleibt stets ein latenter Riß bestehen, der sich bei geringer Belastung wieder öffnet. Auch ausgebrochene Kappen ließen sich durch Ansetzen neuer Stücke wiederherstellen und weitere Teile konnten auf der Drehbank nachgedreht werden. So lange dies beim Verkauf mitgeteilt wurde, waren alle Parteien zufrieden.

Mit steigendem Wert aber ließ die Mitteilungsfreudigkeit zusehends nach. Zudem wurden Teile des gleichen Herstellers aber aus späteren Modellen zum Ersatz verwendet, was häufig nur noch wirkliche Fachleute erkennen können. Mit solchen Geräten wird vielen Sammlern das Geld aus der Tasche gezogen. Gewisse Teile, wie z.B. Clipse, werden sogar neu nachgegossen – und als Original eingebaut. 30 DM für die Fertigung eines Clips sind eine gute Investition, da das Original, wenn überhaupt, nicht unter 200 DM zu haben ist. Besonders das Verzieren neuwertiger schlichter Modelle mit Gold- und Silberüberzügen (häufig aus Südamerika) führte zu enormen Wertsteigerungen, die die Herstellungskosten der Overlays lächerlich erscheinen lassen.

Mittlerweile ist die Verkaufslage auf das Niveau: „Gekauft wie besehen unter Ausschluß jeglicher Gewährleistung“ gesunken, das Fachwissen des Verkäufers beschränkt sich nach zehnjährigem Umgang mit Füllhaltern auf die Angabe: „So hab ich ihn auf dem Flohmarkt gefunden!“ und der Schwarze Peter liegt beim Käufer, der mittels 10fach Lupe, Lichtleiter für die Innenausleuchtung und Materialprüfgerät in einer halbstündigen Inspektion- und häufig Zerlegeaktion (unter dem Protest des Verkäufers natürlich) herauszufinden versucht, ob das Teil seines Begehrens nun tatsächlich die geforderten 4000,- DM oder doch nur 400,- DM wert ist.

Aber das Ende der Talfahrt ist noch lange nicht erreicht. Vor circa 10 Monaten tauchte ein als „antiker MontBlanc-Füllhalter“ in Sofia verkauftes Exemplar auf der Sammlerbörse in Hamburg auf: Neben einem schön gefertigten Aufschiebeclip aus Messing, der einen erhabenen (beim Guß nachträglich aufgelegten) Montblancstern zeigte und einem auf den Kappenkopf aufgemalten Montblanc Stern bemühte sich auch noch eine nachträglich eingeprägte Aufschrift „Mont λ Blanc“ auf der Kappe, ein mittelmäßiges Ramschteil auswärtiger Produktion in ein begehrtes Sammlerstück zu transformieren. Weitere Stücke haben inzwischen den Weg in den Westen gefunden. Gottseidank sind die Fälschungen bis auf die Metallteile derart stümperhaft (man hatte ein billiges Fremdfabrikat als Träger verwendet – bei anderen Stücken z.T. noch mit eigenem Markennamen), daß jeder mittelmäßig gebildete Montblanc Sammler den Betrug erkennen kann. Aber was wäre gewesen, wenn man zu echten älteren Montblanc Geräten gegriffen hätte? Die verwendeten Metallteile sind von nicht unbeträchtlichem Reiz. Ich bin gespannt, auf welchen „Originalen“ sie in Zukunft noch auftauchen werden.

 

Stefan Wallrafen, September 2001